Auf der Jagd nach Michelangelos David: Warum aktuelle Positionen zu Bildern anachronistisch sind


Man könnte sagen, dass das jüngste Urteil des Gerichts in Florenz über die Verwendung des Bildes von Michelangelos David eine Art souveränen Protektionismus gegenüber dem kulturellen Erbe eröffnet. Deshalb ist diese Orientierung anachronistisch und stellt uns in die Nachhut.

Während in einer kleinen brasilianischen Stadt eine Nachbildung des Trevi-Brunnens im Maßstab 1:3 fertiggestellt wurde, erkannte das Gericht von Florenz die Existenz eines “Rechts am Bild des kulturellen Erbes” an, indem es der Galleria dell’Accademia von Florenz erlaubte, ihren Prozess gegen einen Verlag zu gewinnen, der ein Bild von Michelangelos David zu Werbezwecken veröffentlicht hatte, indem er das Foto eines Modells mit dem des Meisterwerks der Renaissance überlagerte. Neben dem finanziellen Schaden (Bilder von Werken in staatlichen Museen unterliegen bekanntlich einer Reproduktionsgebühr, wenn die Verwendung zu Werbezwecken erfolgt) erkannte das Gericht in Florenz auch eine Art Imageschaden an, da der Verlag, wie es im Urteil heißt, “heimtückisch und böswillig das Bild des David von Michelangelo dem eines Modells gegenüberstellte und damit den hohen symbolischen und identitätsstiftenden Wert des Kunstwerks herabsetzte, verschleierte, demütigte und zu Werbe- und redaktionellen Werbezwecken unterwarf”. Im Grunde genommen hätte das Vorgehen des Verlags das Recht auf kollektive Identität der Italiener verletzt, die in Michelangelos David ein Symbol für die Zugehörigkeit zu ein und derselben Nation sehen.

Das Konzept des kulturellen Erbes, das aus dem Urteil des Gerichts von Florenz hervorgeht, scheint zumindest anachronistisch zu sein, sowohl auf ideologischer als auch auf praktischer und verwaltungstechnischer Ebene. Bleibt man auf der rein ideellen Ebene, so wirft der Gedanke, dass der David ein “Identitätssymbol” der Nation sein kann, sofort eine Frage auf: Wem gehört der David von Michelangelo? Ist es wirklich möglich, ihn als Symbol der italienischen Nation zu betrachten? Oder ist er vielmehr ein universelles Gut? Wenn wir auf der Ebene der “Identität” bleiben, dann müssen wir darauf hinweisen, dass die Geburt von Michelangelos David mit einem bestimmten historischen Moment verbunden ist, nämlich mit den Jahren der Florentiner Republik, und dass die Florentiner des frühen 16. Aber auch auf einer persönlichen Ebene identifizierte sich Michelangelo mit David, denn für ihn hatte das Werk eine starke intime Bedeutung, da der Künstler seine persönliche Geschichte als einen Kampf gegen Widrigkeiten sah, die größer waren als er selbst. Irving Lavin, einer der größten Kunsthistoriker des letzten Jahrhunderts, sagte: "Michelangelos David hat einen einzigartigen Status als Symbol für den trotzigen Geist menschlicher Freiheit und Unabhängigkeit im Angesicht extremer Widrigkeiten erreicht. Diese emblematische Vorrangstellung des David ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Michelangelo in einem einzigen revolutionären Bild zwei Bestandteile des Freiheitsgedankens schlechthin vereinigt hat: einen schöpferischen und damit persönlichen und einen politischen und damit gemeinschaftlichen. Wie kann man dann sagen, dass der David ein Symbol der italienischen Nation ist, die im Übrigen zu dieser Zeit noch gar nicht existierte, außer vielleicht in den Köpfen einiger Denker? Warum sollte sich ein amerikanischer, französischer, schweizerischer, chinesischer, senegalesischer, argentinischer oder australischer Bürger nicht mit den Werten identifizieren können, die der David verkörpert, wenn er das Werk als seinen eigenen Gefühlen nahestehend betrachtet? Welchen Sinn hat es, den David von Michelangelo mit einer angeblichen “nationalen Identität” zu vergleichen, wenn nicht, um einen abgestandenen Nationalismus des 19. Jahrhundert zu nähren, der sich von Ikonen ernährt. Kurz gesagt, es geht um nichts anderes als kulturelle Souveränität.



Der Trevi-Brunnen in Brasilien
Der Trevi-Brunnen in Brasilien
Das GQ-Titelbild
Das Titelbild von GQ
David an den Souvenirständen
David auf Souvenirständen
Venus offen für Wunder
Venus zum Staunen freigegeben

Auf praktischer Ebene ist das Urteil anachronistisch, weil es in die entgegengesetzte Richtung zu den aktuellsten und zeitgemäßen Positionen in der Debatte um Reproduktionen des kulturellen Erbes geht, und es widerspricht zum Teil auch den Leitlinien des Kulturministeriums selbst, das im vergangenen Sommer einen Nationalen Plan zur Digitalisierung des kulturellen Erbes veröffentlicht hat, der unter anderem die Erweiterung der Formen des Zugangs zum kulturellen Erbe zum Ziel hat und in dem unter anderem die Notwendigkeit festgestellt wird Koordinierung, Rationalisierung und Vereinfachung der Verfahren für den Zugang zu und die Wiederverwendung von digitalen Reproduktionen des Kulturerbes. “Die Verbreitung und Wiederverwendung digitaler Ressourcen”, so heißt es in dem Plan, “stellen mächtige Multiplikatoren des Reichtums dar und sind strategische Instrumente für die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung des Landes”. Und nicht nur das: Der Plan geht auch auf die Frage des Systems der Genehmigungen und Konzessionen ein und bekräftigt, dass das derzeitige, auf dem Einzelbild basierende System durch eine Lizenzpolitik überwunden werden sollte, die auf das Konzept der “Dienstleistung” und nicht auf das des “Produkts” ausgerichtet ist. Wie lassen sich die Open-Access-Leitlinien mit der Tatsache in Einklang bringen, dass das Gerichtsurteil von Florenz das öffentliche Kulturerbe einem aleatorischen “Symbol- und Identitätswert” unterzuordnen scheint? Muss bei jeder Verwendung des David-Bildes ein Beamter feststellen, ob eine Bearbeitung das Empfinden von jemandem verletzt? Sollte ein Duchamp, der der Mona Lisa einen Schnurrbart verpasst, mit einer Geldstrafe belegt werden? Und ist die Mona Lisa, um die sich viele sorgen, ein italienisches Identitätssymbol, auch wenn sie in Frankreich aufbewahrt wird? Was ist mit Open to Wonder und dem Venus-Influencer, den das Studio Armando Testa für die inzwischen berühmte Marketingkampagne des Tourismusministeriums entworfen hat? Sollten die Uffizien angesichts der Empörung über die Verwendung der Venus das Ministerium verklagen (also sollte der Staat sich selbst verklagen)? Inwieweit kann festgestellt werden, ob die Nutzung eines Vermögenswertes diesen entwertet oder nicht? Entscheidet dies ein Richter? Müssen wir also jedes Mal, wenn jemand beschließt, mit dem Bild eines öffentlichen Kunstwerks für sich zu werben, die Gerichte verstopfen, um festzustellen, ob eine bestimmte und spezifische Nutzung unser Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Nation verletzt?

Das Urteil löst einen offensichtlichen Kurzschluss aus, wenn man bedenkt, dass es vom Gericht der Stadt erlassen wurde, in der jedes Geschäft, jeder Laden, jedes Restaurant eine Reproduktion eines seiner berühmtesten Werke ausstellt. Was soll man mit den Tausenden von Reproduktionen des David und der Venus auf Souvenirs für Touristen machen? Müssen sie alle um Erlaubnis bitten? Sollen wir etwa Ministerialbeamte hinter den Davids herschicken, die sich unweigerlich geächtet sehen werden, weil es einigen nicht gefallen könnte, dass das erhabene Mitglied von Michelangelos Meisterwerk auf tonnenweise Goliath-Schürzen gestanzt wird, oder weil sie es als der Würde des Davids abträglich empfinden könnten, dass er einfach in einer Gipsminiatur reproduziert werden kann und so in den extravagantesten Reisezielen landet? Schon jetzt ist, wie auch der Rechnungshof festgestellt hat, in einigen Fällen das “Verhältnis zwischen den Kosten für die Verwaltung des Einzugsdienstes und den tatsächlich erzielten Einnahmen negativ”, d. h. die Kosten für das Personal, das den Einzug der Konzessionsabgaben verwalten muss, sind höher als die Einnahmen aus den Abgaben selbst. Und das alles, während in Schottland paradoxerweise eine Debatte über die Verwendung eines Bildes des David zur Werbung für ein Restaurant geführt wird, nicht etwa, weil der Anblick des David mit einem Stück Pizza in der Hand seiner Würde schadet oder nicht (lustigerweise hat das Tourismusministerium dasselbe mit Botticellis Venus getan), sondern weil jemand empört war über die Vorstellung, dass die Genitalien von Michelangelos Skulptur auf einigen Plakaten in der U-Bahn zu sehen sein könnten. Aus diesem Grund ist es auch notwendig, das Bild des David viel mehr zu verbreiten, anstatt Positionen einzunehmen, die es einschränken könnten.

Soviel zur ’avantgardistischen Regulierung’, wie jemand nach der Verabschiedung des Urteils schrieb: Wir machen einen gewaltigen Rückschritt. Erstens mit dem Ministerialerlass über Reproduktionen, eine Maßnahme, die uns in die Vorgeschichte zurückwirft, während sich die Welt um uns herum die Frage stellt, wie der Zugang zur Kultur erleichtert werden kann (und zur Erleichterung gehört auch die kostenlose Reproduktion von Bildern des öffentlichen Erbes). Das heißt, während sich die Welt um uns herum vorwärts bewegt. Und jetzt mit einem Urteil, das eine Art Protektionismus für öffentliche Kulturgüter einführt. Es ist genau das Gegenteil: Wir sind plötzlich in der Nachhut gelandet. Und wir müssen in der heutigen Welt so schnell wie möglich wieder auf den richtigen Weg kommen.


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