Wie man ein Gemälde zuordnet: die Wiener Schule (Eitelberger, Wickhoff, Riegl, Dvořák)


Vierte Folge unserer Geschichte der Kunstkritik: Wir sprechen über die Wiener Schule und einige ihrer wichtigsten Vertreter (Eitelberger, Wickhoff, Riegl und Dvořák)

In der letzten Folge unserer Geschichte der Kunstkritik sprachen wir über Julius von Schlosser (1866 - 1938) und stellten die Wiener Schule vor, jene bedeutende Gruppe von Gelehrten, zu deren jüngsten Vertretern Schlosser gehörte und die zur radikalen Erneuerung der kunsthistorischen Disziplin beitrug. Und da der Beitrag der Wiener Schule von grundlegender Bedeutung war, ist es nur recht und billig, dass wir dieser Gruppe von Kunsthistorikern, deren “Gründer” (wir setzen das Wort in Anführungszeichen, weil die Gruppe, wie wir im Artikel über Schlosser sagten, nicht wirklich offiziell war) von Schlosser in der Gestalt von Rudolf Eitelberger von Edelberg (1817 - 1885) erkannt wurde, einen Termin in dieser Artikelserie widmen.

Rudolf Eitelberger von Edelberg
Rudolf Eitelberger von Edelberg
Im Artikel über Schlosser haben wir davon gesprochen, dass die Betrachtung der Kunstgeschichte als ein “Ganzes” philologischer Beziehungen zwischen den Werken eine Errungenschaft der gesamten Wiener Schule war: Die Grundlagen wurden von Eitelberger selbst gelegt, der an der Universität von Olmütz (seiner Geburtsstadt) in Böhmen Philologie studiert hatte und 1839 den Lehrstuhl für Philologie an der Universität Wien erhielt. Seine Interessen verlagerten sich jedoch bald auf die Kunstgeschichte, und an derselben Wiener Universität war er der erste Dozent, der den neu eingerichteten Lehrstuhl für Kunstgeschichte innehatte. Als kultivierte, kultivierte und moderne Persönlichkeit mit liberalen Tendenzen gelang es Eitelberger, das Kunstwerk als Objekt in philologischer Beziehung zu anderen Objekten zu betrachten. Eitelberger war auch der erste Gelehrte, der jene Quellenschriften hervorhob, die später von Schlosser intensiv und systematisch studiert wurden. Ein weiteres bahnbrechendes Verdienst Eitelbergers war sein Gespür für die Zusammenarbeit von Universität und Museum: Der Gelehrte gründete selbst das Österreichische Museum für Kunst und Industrie (ÖMuI). Eitelberger war der Meinung, dass die Forschung nicht ohne die beiden Institutionen auskommen konnte, die als komplementär zur Arbeit des Kunsthistorikers angesehen wurden, so dass der Gelehrte seine Vorlesungen oft in den Museen vor den untersuchten Kunstwerken hielt. Diese von Eitelberger begründete Tradition sollte sich auch in Italien durchsetzen, wo die Superintendenturen und Universitäten seit Jahrzehnten eng zusammenarbeiten (und dies hoffentlich noch lange tun werden).

Franz Wickhoff
Franz Wickhoff
Zu Eitelbergers Nachfolgern gehörte Franz Wickhoff (1853 - 1909), ein Schüler von Theodor von Sickel und Moritz Thausing, der ihm auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an derWiener Staatsuniversität folgte. Einer von Wickhoffs Ausgangspunkten bei der Ausarbeitung seiner kunsthistorischen Konzeption waren die Leistungen von Giovanni Morelli, dem wir auch die Einführung der Morellschen Methode in Österreich verdanken: Wickhoff war insbesondere von Morellis Versuch fasziniert, eine möglichst objektive wissenschaftliche Methode für die Kunstgeschichte zu entwickeln. Der österreichische Gelehrte wandte eine aus dieser Methode abgeleitete Logik an, als er sich mit der Zuschreibung und Datierung der Fresken von Masolino da Panicale in der Basilika San Clemente in Rom befasste: Wickhoff war überzeugt, dass es sich um ein Werk von Masolino handelte, das zwischen 1446 und 1450 zu datieren ist. Ein Datum also, das weit von dem der Fresken in der Brancacci-Kapelle in Florenz entfernt ist, an denen Masolino bekanntlich zwischen 1424 und 1425 zusammen mit Masaccio gearbeitet hatte. Wickhoff, der es vorzog, die Ausführung der römischen Fresken um einige Jahre zu verschieben (heute jedoch von der Kritik um 1428 herum angesetzt), und zwar auf der Grundlage eines angeblichen Einflusses, den der toskanische Künstler von Pisanello erhalten hätte, der sich zwischen 1431 und 1432 in Rom aufhielt, war der Ansicht, dass die für Masolinos Kunst typischen archaischen Elemente ein charakteristisches Merkmal seiner Kunst waren, das der Künstler sein ganzes Leben lang beibehielt, obwohl der jüngere Masaccio, wie wir wissen, störende Neuerungen eingeführt hatte.

Indem er die Kunstgeschichte als wissenschaftliche Disziplin betrachtete, begann Wickhoff, bestimmte Schemata, die als selbstverständlich galten, zu verwerfen, was dazu führte, dass bestimmte Momente der Kunstgeschichte von einem objektiveren Standpunkt aus gelesen wurden: So schrieb Wickhoff beispielsweise der römischenKunst eine beträchtliche Originalität zu und war der Ansicht, dass die römische Kunst im Vergleich zur griechischen Kunst mit neuen Elementen bereichert worden war. Wickhoff wandte sich damit im Wesentlichen gegen die Annahme von Johann Joachim Winckelmann (1717 - 1768), der die römische Kunst als eine Art Nachahmung der griechischen Kunst betrachtete: ein Vorurteil, das die Geschichtsschreibung mehr als ein Jahrhundert lang geprägt hatte. Man ist sogar zu dem Schluss gekommen, dass die Geschichte der römischen Kunst 1895 begann, dem Jahr, in dem Wickhoff eines seiner Hauptwerke, Die Wiener Genesis“, veröffentlichte, in dem der Gelehrte, der den illuminierten Codex analysierte, der als Genesis von Wien” bekannt ist (den Wickhoff für das 4. Jahrhundert n. Chr. hielt, der aber nun um zwei Jahrhunderte nach vorne verschoben wurde), eine originelle Vision der römischen Kunst vorschlug: Letzterer schrieb der Gelehrte das Verdienst zu, originelle Motive eingeführt zu haben, die er in der Ausarbeitung eines natürlichen Raums, im Realismus, der die Porträts kennzeichnet, und in der Kontinuität der Erzählung (wie zum Beispiel in den Reliefs der Trajanssäule) sah. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass Wickhoff den Beitrag derhellenistischen Kunst in keiner Weise berücksichtigt hat, der nach neueren Auffassungen die Innovationen, die Wickhoff der römischen Kunst zuschreibt, stattdessen zugeschrieben werden sollten. Auch wenn Wickhoffs Annahmen über die römische Kunst heute als überholt gelten, ist es ihm zu verdanken, dass die römische Kunst zum Gegenstand eingehender Studien wurde.

Masolino, Scene della vita di Santa Caterina
Masolino, Szenen aus dem Leben der Katharina von Alexandrien: Die Heilige weigert sich, Götzen anzubeten, Katharina trifft die Kaiserin Faustina im Gefängnis, Faustina wird enthauptet (um 1428; Rom, San Clemente)

Alois Riegl
Alois Riegl
Endgültig überholt wurden Winckelmanns Positionen durch das Wirken eines anderen bedeutenden Gelehrten der Wiener Schule, Alois Riegl (1858 - 1905): Er war Jurist, wandte sich aber bald der Kunstgeschichte zu und war ab 1887 zehn Jahre lang Leiter der Textilabteilung des von Eitelberger gegründeten Österreichischen Museums für Kunst und Industrie. Durch das Studium der Textilien begann Riegl, die Kunstgeschichte als einen kontinuierlichen evolutionären Prozess zu betrachten: Der Gelehrte hatte nämlich festgestellt, dass die Transformationen der ornamentalen Motive von Textilien im Laufe der Geschichte nicht das Ergebnis zufälliger Veränderungen, sondern von Stilentwicklungen waren. Diese Theorie, die Riegl in seinem bahnbrechenden Werk " Stilfragen" von 1893 formulierte, führte ihn dazu, die Kunstgeschichte als eine Geschichte ständiger Veränderungen zu betrachten. Diese aus den experimentellen Wissenschaften stammende Auffassung passte gut zu dem Bestreben der Wiener Schule, der Kunstgeschichte einen wissenschaftlichen Status zu verleihen. Für Riegl (wie übrigens auch für Wickhoff) musste das Studium der Kunstgeschichte in der Lage sein, die Übergänge und Veränderungen zu erkennen, die sich im Laufe der Zeit vollzogen, und nicht festzustellen, welche Epoche einem (im Übrigen willkürlichen) Begriff der Vollkommenheit am nächsten kam.

Indem er die Gründe für die Entwicklung der ornamentalen Motive im Laufe der Zeit genauer untersuchte, führte Riegl den grundlegenden Begriff des Kunstwillens ein, den er in der Einleitung zu seinem 1901 erschienenen Werk Die spätrömische Kunstindustrie nach den Funden in Österreich erstmals systematisch darlegte. Mit diesem Begriff wollte Riegl die Entwicklung des Stils auf der Grundlage der schöpferischen Kraft erklären, die jede einzelne künstlerische Zivilisation kennzeichnet (und nicht auf der Grundlage einer einfachen Entwicklung der künstlerischen Technik): Dank des Kunstwollens bringt jede Zivilisation ihre eigenen künstlerischen Manifestationen hervor, die in jedem künstlerischen Produkt zu sehen sind. Durch die Annahmen dieser Theorie gelangte Riegl unter anderem zu der Überzeugung, dass alle Kunstformen die gleiche Würde haben sollten, da sie alle Produkte desselben Kunstwollens sind, und diese Einsicht veranlasste ihn, den so genannten “kleinen” Künsten (wie Goldschmiedekunst, Miniaturmalerei und Medaillistik) die gleiche Bedeutung beizumessen wie den als “groß” geltenden Künsten (Malerei, Bildhauerei und Architektur): ein weiteres Vorurteil war damit überwunden. Die Beschränkung von Riegls Denken bestand darin, dass für ihn der Kunstwollen (den man auch mit"Geschmack" übersetzen könnte, obwohl sich der Begriff im Laufe der Geschichte der Kunstkritik weiterentwickelt hat) der wichtigste Faktor für die Entstehung eines Kunstwerks war, was den Gelehrten dazu verleitete, die historischen und sozialen Grundlagen für die Erklärung der Entstehung eines bestimmten künstlerischen Ausdrucks zu unterschätzen: Dennoch ist es Riegls Verdienst, die Aufarbeitung bisher wenig beachteter künstlerischer Zivilisationen (wie der Spätantike) angestoßen zu haben.

Max Dvořák
Max Dvořák
Wickhoffs Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität Wien war der böhmische Gelehrte Max Dvořák (1874 - 1921), einer der letzten wichtigen Vertreter der Wiener Schule. In seinen frühen Arbeiten vertrat Dvořák Positionen, die denen Riegls nahe standen: Auch für ihn konnte die Kunstgeschichte daher als eine sich ständig weiterentwickelnde Linie dargestellt werden. Später weigerte sich Dvořák jedoch, das Studium der Kunstgeschichte allein auf der Grundlage der formalen Merkmale von Kunstwerken zu betrachten: Für Dvořák liegt jedem Kunstwerk eine Idee zugrunde. Diese Schlussfolgerung veranlasste ihn zur Ausarbeitung des Grundkonzepts seiner Vision der Kunstgeschichte, das mit der Formel"Kunstgeschichte als Geistesgeschichte" ausgedrückt werden kann (auch wenn manche Geistesgeschichte mit “Geschichte der Mentalität” oder sogar “Geschichte der Ideen” übersetzen: Ideen wären nach dieser Vision schließlich das Produkt des menschlichen Geistes). Für Dvořák ist ein Kunstwerk also nicht nur Ausdruck eines Stils oder eines ästhetischen Phänomens, sondern auch ein Mittel, um dieWeltanschauung desjenigen kennenzulernen, der es geschaffen hat. “Kunst”, schrieb der böhmische Kunsthistoriker, “besteht nicht nur in der Entwicklung von Lösungen für formale Probleme, sondern ist immer auch dem Ausdruck der Ideen gewidmet, die die Menschheit in ihrer Geschichte bestimmen”.

So vertrat Dvořák in seinem bahnbrechenden Werk " Idealismus und Naturalismus in der gotischen Skulptur und Malerei " von 1918 die Auffassung, dass dieromanische Kunst nicht als Weiterentwicklung der klassischen Tradition zu betrachten sei, sondern als Ausdruck einer Epoche, in der neue Ideen und Konzepte entwickelt wurden. Obwohl seine Methode auf Kritik stieß (manche meinten, dass Dvořáks Theorien zwar auf den Inhalt der Kunstwerke, nicht aber auf ihre Form anwendbar seien), wird Dvořák das Verdienst zugeschrieben, ganze kunstgeschichtliche Epochen (wie den Manierismus) und Künstlerfiguren neu bewertet zu haben, die von den Historiographen bisher vernachlässigt worden waren und heute als zentral für die Kunstgeschichte gelten: Das Beispiel von El Greco, dessen Wiederentdeckung dem Werk von Max Dvořák zu verdanken ist. Der Gelehrte ging auch so weit, die Anfänge der modernen Kunst in der Kunst Tintorettos zu verorten: Insbesondere im letzten Tintoretto (z. B. imletzten Abendmahl für San Giorgio Maggiore) erkannte Dvořák einen visionären Charakter, der mehr mit der Intuition und Sensibilität des Künstlers zu tun hatte als mit den konventionellen Schemata des Stils seiner Zeit. Ein visionärer Charakter, der einen unaufhebbaren Bruch mit der bisherigen Kunst darstellte und in der Tat die Geburt einer künstlerischen Erfahrung sanktionierte, die das Ergebnis einer neuen Idee war, die vorher nicht möglich gewesen wäre.

Tintoretto, Ultima cena
Tintoretto, Das letzte Abendmahl (1592-1594; Öl auf Leinwand, 365 x 568 cm; Venedig, San Giorgio Maggiore)

Referenz-Bibliographie

  • Diana Reynolds-Cordileone, Alois Riegl in Wien 1875-1905: Eine institutionelle Biographie, Ashgate Publishing, 2013
  • Matthew Rampley, The Vienna School of Art History: Empire and the Politics of Scholarship, 1847-1918, Pennsylvania State University Press, 2013
  • Michael Gubser, Time’s Visible Surface: Alois Riegl and the Discourse on History and Temporality in Fin-de-Siècle Vienna, Wayne State University Press, 2006
  • Ricardo de Mambro Santos, Wiener Viaticum: Die kritische Geschichtsschreibung von Julius von Schlosser und die philosophische Methodologie von Benedetto Croce, Apeiron, 1998
  • Eugene Kleinbauer, Modern Perspectives in Western Art History: An Anthology of 20th-century Writings on the Visual Arts , University of Toronto Press, 1989
  • Richard Brilliant, Römische Kunst von der Republik bis Konstantin, Phaidon Press, 1974
  • Max Dvořák, Kunstgeschichte als Geistesgeschichte: Studien zur abendländischen Kunstentwicklung, Mäander Kunstverlag, 1973
  • Alois Riegl, Die spätrömische Kunstindustrie, Druck und Verlag der Osterreichischen Staatsdruckerei, 1927
  • Erwin Panofsky, Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 18 (1925)
  • Max Dvořák, Idealismus und Naturalismus in der gotischen Skulptur und Malerei, Oldenbourg, 1918
  • Alois Riegl, Stilfragen: Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik, Verlag von Georg Siemens, 1893
  • Franz Wickhoff, Die Wiener Genesis in Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (15/16), 1895
  • Franz Wickhoff, Die Fresken der Katherinenkapelle in S. Clemente zu Rom in Zeitschrift für bildende Künst, 25 (1889)


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