Als Alois Riegl 1901 sein Konzept des Kunstwollens vorstellte, das wir in dem Artikel über die Wiener Schule, zu deren führenden Vertretern Riegl selbst gehörte, besprochen haben, fehlte noch eine klare Definition dessen, was dieser “Wille zur Kunst” ist, durch den jede Zivilisation ihre eigenen künstlerischen Produkte hervorbringen würde. In seinem bahnbrechenden Aufsatz Die spätrömische Kunstindustrie nach den Funden in Österreich äußerte sich der österreichische Gelehrte zum Begriff des Kunstwollens folgendermaßen: "Alle menschlichen Bestrebungen zielen darauf ab, das Verhältnis zwischen Mensch und Welt mit befriedigenden Formen auszustatten, innerhalb und außerhalb des Individuums. Kunstwollen regelt das Verhältnis zwischen Mensch und Erscheinung der Dinge. Die Kunst drückt die Art und Weise aus, wie der Mensch die Dinge sieht, die eine Form oder Farbe haben, während der Kunstwollen die Art und Weise ausdrückt, wie der Mensch sich diese Dinge vorstellt. Denn der Mensch ist nicht nur ein passives, sinnlich wahrnehmendes Gefäß, sondern auch ein aktives Wesen, das begehrt, das die Welt auf eine Weise interpretieren will, die je nach Völkern, Regionen, Epochen unterschiedlich sein kann". Es war jedoch nicht klar, mit welchen Begriffen dieser Kunstwille umschrieben werden sollte, der für Riegl notwendig war, um dieEntwicklung der Stile und das Aufblühen der künstlerischen Zivilisationen zu erklären.
Es gab daher mehrere Versuche, Riegls Kunstwollen konkreter zu definieren. Für den tschechischen Kunsthistoriker Karl Swoboda (Prag, 1889 - Rekawinkel, 1977) lässt sich der Begriff zusammenfassen als ein "inneres, das Kunstwerk organisierendes Prinzip, das jenseits stilistischer Werte entdeckt und aus der Weltanschauung einer bestimmten Epoche heraus erklärt werden muss". Für Wilhelm Worringer (Aachen, 1881 - München, 1965) ist es vielmehr etwas, das mit der kulturellen Sensibilität eines Volkes zu tun hat und durch die individuelle psychologische Disposition des Künstlers gefiltert wird. Auch Erwin Panofsky setzte sich mit dem Riedel’schen Begriff auseinander und widmete ihm einen ganzen Aufsatz mit dem Titel Der Begriff des Kunstwollens, der 1920 erschien. Ein Aufsatz, der allerdings weniger auf eine präzise Definition als vielmehr auf eine Analyse des Begriffs abzielte, was zur Folge hatte, dass sich die von Panofsky vorgeschlagene Lösung als noch komplexer als das Problem erwies, denn der Germanist sprach vom Kunstwollen im Sinne eines “immanenten Sinns des Kunstwerks”, ohne nähere Angaben zu machen: Der “Kunstwille” sei im Wesentlichen nicht anhand äußerer Elemente zu erklären (wie es Worringer im Gegenteil versucht hatte), sondern anhand werkimmanenter Elemente, weshalb der Kunstwille nur erfasst werden könne, wenn man es vermeide, das Werk anhand von Merkmalen zu analysieren, die dem Werk selbst äußerlich sind (Beziehungen zur Gesellschaft und zur Geschichte, Neigungen des Künstlers und so weiter).
Hans Sedlmayr im Jahr 1962 |
Die “Struktur” eines Kunstwerkes bestünde nach Sedlmayr aus zwei Ebenen. Die erste betrifft empirische Elemente, also solche, die sich aus einer auf wahrnehmbaren Daten basierenden Analyse ergeben, wie Farben, Formen und die Anordnung der Figuren in der Komposition (aber auch Dokumente und schriftliche Quellen, Inschriften, stilistische Aspekte können als empirische Elemente betrachtet werden), während die zweite Ebene spekulative Elemente betrifft, d.h. alles, was die Interpretation betrifft, die man von einem Werk geben kann. Spekulative Elemente sind zum Beispiel auch Urteile über den Wert eines Werkes, da die Aufgabe des Kunsthistorikers auch darin besteht, zwischen künstlerischen Produkten, die für die Kunstgeschichte relevant sind, und Produkten, die für die Entwicklung der Kunst eher irrelevant sind, zu unterscheiden. Sedlmayr wandte diese Art der Analyse des Kunstprodukts auf verschiedene Kunstwerke an: Als Beispiel sei hier ein berühmtes Werk wie Jan Vermeers DerKünstler und das Modell genannt: Der österreichische Gelehrte analysierte zunächst die Figuren des Werks (ein Mann mit einem Pinsel in der Hand, eine vor ihm sitzende Frau) und ging dann eine Ebene höher, um immer komplexere Analysen vorzunehmen (Identifizierung des Mannes als der Künstler selbst und der Frau als sein Modell, symbolische Deutung des Gemäldes als Allegorie des Gemäldes, Urteile über die Qualität des Gemäldes). Sedlmayrs Ziel war es, durch diestrukturelle Analyse des Gemäldes seine Bedeutung, seine Verbindungen zur Welt, die es hervorgebracht hatte, und somit den Zweck des “objektiven und kollektiven Willens”, der dem Werk Leben eingehaucht hatte, zu erkennen.
Jan Vermeer, Der Maler und das Modell (um 1666; Öl auf Leinwand, 120 x 100 cm; Wien, Kunsthistorisches Museum) |
Die beiden Analyseebenen, die für Sedlmayr zwei wahre Wissenschaften der Kunst waren, wurden erstmals in einem Aufsatz mit dem Titel Zu einer strengen Kunstwissenschaft " vorgestellt und 1931 in der ersten Ausgabe der Kunstwissenschaftlichen Forschungen " veröffentlicht, also jener Zeitschrift, die, obwohl sie nur in zwei Heften erschien (das zweite erschien 1933), später als programmatisches Manifest (wenn auch ohne Systematik) der sogenannten Neuen Wiener Schule gelten sollte, als deren Begründer Sedlmayr zusammen mit seinem jüngeren Kollegen Otto Pächt (Wien, 1902 - 1988) gilt. Eines der Hauptprobleme der Sedlmayrschen Methode war jedoch, dass sie leicht zu verzerrten Analysen von Kunstwerken führen konnte. Denn oft wurden die “reale Kraft” und die ästhetischen Impulse, die Sedlmayr und seine Kollegen untersuchen wollten, auch mit psychologischen, ethnischen oder rassischen Motiven begründet: daher das Adjektiv “berüchtigt”, das oben im Zusammenhang mit Sedlmayrs Studien über Riegl verwendet wurde. Ebenso berüchtigt war Sedlmayrs Lesart der Persönlichkeit Francesco Borrominis, zumindest für die anglo-amerikanische Kritik, die darin ein Beispiel für das Abdriften der Theorien des österreichischen Kunsthistorikers sah. Sedlmayr, der im Übrigen von der Gestaltpsychologie durchdrungen war, hatte nämlich behauptet, den Charakter Borrominis allein durch die Analyse seiner Werke zu rekonstruieren, indem er seine Werke als Ausdruck einer formalen Struktur betrachtete, die auf ein Temperament zurückzuführen war, das der Gelehrte in Anlehnung an einen Begriff aus der Psychoanalyse von Ernest Kretschmer als “schizothymisch” definierte, d. h. als typisch für ein melancholisches, introvertiertes, asoziales Individuum mit einer Tendenz zur Schizophrenie. Im Übrigen ist zu betonen, dass Sedlmayr bereits 1930 in die NSDAP eingetreten war, und seine Bilanz unter den Nationalsozialisten (nicht so heftig, dass er nach dem Krieg vor Gericht gestellt wurde, aber auch nicht so schwach, dass er später Schwierigkeiten in seiner Arbeit als Kunsthistoriker hatte) hat seine Karriere stark geprägt.
Otto Pächt |
Es wurde jedoch erwähnt, dass Pächt gemäßigtere Positionen vertrat als Sedlmayr: Nach dem Aufkommen des Nationalsozialismus wandte sich der Gelehrte endgültig von seinem Kollegen ab, und es fiel ihm zu, das Erbe der guten Dinge fortzuführen, die die Neue Wiener Schule hervorgebracht hatte, so dass wir heute dazu neigen, Otto Pächt als den führenden Vertreter dieser Schule zu betrachten. Pächt musste also von derAnalyse des Werkes als Grundlage der Kunstgeschichte ausgehen: Für die Gelehrten der Neuen Wiener Schule war das Werk eine Art geschlossenes System, das aus sich selbst heraus und nicht aus seinen Bezügen zur Außenwelt erklärt werden musste. Mit anderen Worten, das Werk, wie wir es sehen, entspringt nicht den Reaktionen auf die Realität, sondern dem, was Pächt Gestaltungsprinzip nannte, einer verborgenen, inneren Logik im Werk, die seinen Stil regelt: Die Aufgabe des Kunsthistorikers besteht darin, sich mit dem Künstler zu identifizieren, das Werk mit den Augen des Künstlers zu betrachten, um das Gestaltungsprinzip zu erfassen. Es geht im Wesentlichen darum, das Werk “nachzubauen”: eine Praxis, die der Neuen Wiener Schule gemein ist. Ein Beispiel, das der Gelehrte Christopher S. Wood in der Einleitung zur englischen Ausgabe eines von Pächt’s bahnbrechenden Aufsätzen, Methodisches zur kunsthistorischen Praxis (“Methodics for the Practice of Art History”, 1977), anführt, mag das Konzept weiter verdeutlichen. Es handelt sich um ein Miniaturenpaar, das um 1140 in Salzburg gemalt wurde und in einem Codex enthalten ist, der nach dem steirischen Stift, aus dem er stammt,"Admonter Bibel" genannt wird (heute wird er in Wien aufbewahrt): In der linken Miniatur sehen wir, wie Moses auf dem Sinai die Gesetzestafeln empfängt, während der Prophet auf der rechten Seite die Tafeln dem jüdischen Volk überreicht. In der linken Figur wird der Prophet von einem schlangenförmigen Band aus drei Farben durchzogen, die sich mit Weiß abwechseln (es handelt sich um Wolken), weiter unten sehen wir Zweige eines Baumes, die sich mit einigen Vogelfiguren verflechten. Die Verflechtung betrifft auch den Bogen, in dem Gott erscheint, ein Bogen, der links in der unteren Ecke über den Rahmen hinausragt, während er in der oberen Ecke darunter liegt und in der Miniatur rechts an beiden Enden vom Rahmen überragt wird. Und im rechten Bild nimmt der Rahmen selbst verschiedene Farben an, um eine Verbindung mit dem großen “H”, dem Anfangsbuchstaben (d.h. dem ersten Buchstaben des ersten Wortes) des Buches Deuteronomium herzustellen, das mit dem Bild des Moses beginnt. Pächt erkennt im Wechsel der Farben und in der Verflechtung der Elemente das Gestaltungsprinzip der Komposition, durch das es dem Künstler gelungen war, die Idee des Raums, wenn auch nur oberflächlich, zu vermitteln: Das Gestaltungsprinzip zu erfassen bedeutet also, die historische Bedeutung des Werks zu erfassen, den Schlüssel, um es in ein System einzufügen und es besser mit anderen Werken in Beziehung zu setzen. Es ist ein formalistischer Ansatz, der jedoch nicht mit anderen Werken verglichen werden muss, da er jede Erklärung bereits im Werk selbst findet: und diese Bereitschaft, die Struktur des einzelnen Kunstwerks zu untersuchen, wurde auch von Schapiro selbst geschätzt, mit dem Pächt ebenfalls viele Jahre lang in Kontakt blieb.
Die Szenen mit Moses aus der Admonter Bibel. Links: Moses empfängt die Gesetzestafeln; rechts: Moses überreicht dem jüdischen Volk die Gesetzestafeln (aus der Admonter Bibel; um 1140, illuminierter Codex; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. ser. nov. 2701, f. 68v und Cod. ser. nov. 2701, f. 69r) |
Die Errungenschaften der Neuen Schule in Wien und insbesondere die von Pächt wurden jahrelang mit Misstrauen betrachtet, vor allem aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit Sedlmayrs, der nach dem Krieg zu konservativen katholischen Instanzen “konvertierte” (Pächt nahm die Beziehungen zu ihm nie wieder auf, obwohl er seine kunsthistorischen Verdienste weiterhin anerkannte). Wir sind jedoch Zeuge einer Neubewertung der Arbeit dieser Wissenschaftler und insbesondere derjenigen von Pächt, dem mehrere Verdienste zuzuschreiben sind. Sein grundlegend “anti-ikonologischer” Beitrag (man erinnere sich an seine Kritik an Panofskys Methode) zielte darauf ab, dass die Kunstgeschichte nicht einfach als eine Unterkategorie der Geschichte betrachtet wurde sondern als eine Disziplin mit eigenen, klar definierten Prinzipien (die Gefahr der ikonologischen Methode bestünde gerade darin, die formalen Aspekte des Kunstwerks zu unterschätzen und damit die Art und Weise, wie sich die Bedeutung des Werks hinter der Form und nicht hinter dem Inhalt verbirgt), für die es unerlässlich ist, das Werk in seiner Tiefe zu erforschen, um seine regulierende Ordnung zu erfassen. Ein weiteres Verdienst von Pächt war der Versuch, eine klare, aber gleichzeitig sehr elaborierte Sprache zu verwenden: eine Notwendigkeit aufgrund der Schwierigkeit, mit dem Instrument des Wortes so effektiv wie möglich wiederzugeben, was die visuelle Wahrnehmung dem Gelehrten vorgibt. Und da für Pächt das Wort der sinnlichen Erfahrung notwendigerweise unterlegen ist, kann man einerseits seine Abneigung gegen Versuche einer “poetischen” Beschreibung des Gemäldes verstehen und andererseits die Bedeutung des Wortes, immer unter dem Aspekt, dass Kunst nicht ersetzbar ist. Hervorzuheben ist schließlich Pächt’s Bemühen, dem Werk die Aura des “Mystizismus” zu nehmen, die ihm noch heute oft zugeschrieben wird. Tatsächlich macht für den österreichischen Gelehrten jede Art von Idealisierung wenig Sinn: Das"Genie“ zum Beispiel, sofern man davon sprechen kann, ist nicht mit der Fähigkeit ausgestattet, aus dem Nichts zu schaffen, wie es die Kritiker der Romantik wollten, denn für Pächt ist die Kunst in ständiger Entwicklung begriffen, und es kann kein ”Genie“ geben, das nicht auf früheren Erfahrungen beruht. Und ebenso ”mythisch" wäre der Begriff der"Schönheit“, da es für Pächt keine absoluten Bezugspunkte gibt, was den Begriff der ”Schönheit" in einem wissenschaftlichen Kontext, wie ihn der Kunsthistoriker für seine Disziplin anstrebte, völlig unbrauchbar machen würde.
Referenz Bibliographie
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