Der Neoklassizismus kann nicht verstanden werden, ohne auf die Figur des wichtigsten Theoretikers dieser Bewegung hinzuweisen, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte und auch einen Großteil des folgenden Jahrhunderts prägte: Die Rede ist von Johann Joachim Winckelmann (Stendal, 1717 - Triest, 1768), Autor des 1755 erschienenen grundlegenden Aufsatzes Pensieri sull’imitazione delle opere greche nella pittura e nella scultura (Originaltitel: Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst). In diesem Aufsatz findet sich eine für das Verständnis des Neoklassizismus wesentliche Passage. Hier ist sie in voller Länge:
“Das allgemeine und hauptsächliche Merkmal der griechischen Meisterwerke ist eine edle Einfachheit und stille Erhabenheit, sowohl in der Stellung als auch im Ausdruck. Wie die Tiefe des Meeres, die immer unbewegt bleibt, egal wie aufgewühlt ihre Oberfläche ist, so zeigt der Ausdruck der griechischen Figuren, egal wie aufgewühlt sie von den Leidenschaften sind, immer eine große und ruhige Seele” (Johann Joachim Winckelmann, Pensieri sull’imitazione delle opere greche nella pittura e nella scultura in Il bello dell’arte, Einaudi, 1948).
Die Worte edle Einfalt und stille Größe hört oder liest man oft, wenn vom Neoklassizismus die Rede ist: auf Konferenzen, in Büchern, in Vorträgen oder auf Ausstellungstafeln. Manchmal entgeht uns jedoch die Bedeutung dieser Worte, die vielleicht allein das Wesen des Neoklassizismus ausmachen: Um sie besser zu verstehen, müssen wir uns in die Realität des künstlerischen Kontextes des 18. Jahrhunderts versetzen. Jahrhunderts eintauchen, einer Realität, die vor allem nach den Entdeckungen der Ruinen von Herculaneum und Pompeji in den Jahren 1738 bzw. 1748 in Aufruhr war, was bei den Künstlern und Intellektuellen jener Zeit die Leidenschaft für die Antike wiedererweckte. Das Echo dieser Entdeckungen ging durch ganz Europa und zog Reisende aus dem ganzen Kontinent in diesen Teil Italiens. Winckelmann selbst besuchte Pompeji und Herculaneum, wenn auch erst Ende der 1550er Jahre, also nach der Veröffentlichung seiner Pensieri (Gedanken): Der Besuch sollte für ihn jedoch von grundlegender Bedeutung für die Abfassung seiner späteren Werke sein. Einer der positiven Aspekte dieser neuen Liebe zur Antike war diewissenschaftliche Annäherung an die Kunst der Vergangenheit: Die Gelehrten begannen, Kataloge zu erstellen, Ausgrabungskampagnen durchzuführen und die Zeugnisse der klassischen Kunst nach philologischen Kriterien zu untersuchen. Und dieses Interesse galt nicht nur derrömischen Kunst, die jahrhundertelang die “Norm” darstellte, auf die sich die Künstler bezogen: Die Intellektuellen begannen, sich ausführlich und systematisch mit den künstlerischen Produktionen anderer Zivilisationen wie der griechischen, ägyptischen, etruskischen und anderer zu beschäftigen.
Bis dahin bedeutete die Betrachtung des Klassizismus im Wesentlichen die Betrachtung der römischen Kunst: Das Urteil der Intellektuellen wurde ab dem 16. Jahrhundert von Giorgio Vasari geprägt, der in seiner Vita di Andrea Pisano feststellte, dass die römische Kunst “die beste, ja die göttlichste unter allen anderen” sei. Das kulturelle Klima, das sich im 18. Jahrhundert entwickelte, stellte die bis dahin anerkannte Vorrangstellung der römischen Kunst in Frage: Bis dahin hatte sich niemand die Mühe gemacht, zwischen griechischer und römischer Kunst zu unterscheiden, da alles unter der “Kategorie” des Klassizismus zusammengefasst wurde. Die Gelehrten des 18. Jahrhunderts begannen sich daher zu fragen, worin die Unterschiede zwischen der griechischen und der römischen Kunst bestanden und wie die beiden Zivilisationen den Klassizismus interpretierten. Es war Winckelmann selbst, der Vasaris Urteil grundlegend revidierte: Der deutsche Kunsthistoriker war der Meinung, dass die Griechen den Römern überlegen waren. Winckelmanns eigenes Urteil hat übrigens den ästhetischen Geschmack zumindest bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt (mit Ausnahme der Romantik), als es zu einer völligen Neubewertung der römischen Kunst kam.
Warum aber glaubte Winckelmann fest an die Überlegenheit der griechischen Kunst gegenüber der römischen Kunst? Winckelmann war der Ansicht, dass Kunst in einem Klima der Freiheit entsteht, und da er auch der Meinung war, dass die Griechen wirklich freie Menschen waren, da sie im Gegensatz zu den Römern in einem Staat lebten, der auf einem echten und wirksamen demokratischen System beruhte, konnte die griechische Kunst nach Winckelmanns Logik nur freier sein und somit den Vorrang vor der römischen Kunst haben. Der deutsche Historiker war auch davon überzeugt, dass die Blüte der Künste im antiken Griechenland zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt begann: der Vertreibung der Tyrannen und der anschließenden Geburt der demokratischen Regierungsform im antikenAthen. Dies ist also der Hauptgrund, warum Winckelmann ein glühender Verfechter der Überlegenheit der griechischen Kunst gegenüber der römischen Kunst war: Letztere könne nur eine dekadente und wertlose Kopie der griechischen Kunst sein. Ebenso dekadent war nach Winckelmann die Kunst seiner Zeit, die vom Willen eines Herrschers, seines Hofes und seiner Mäzene abhing: Man bedenke, dass Winckelmann im Königreich Preußen geboren wurde. Es ist sogar möglich, dass sein im Wesentlichen aufklärerisches Denken und damit seine Abneigung gegen monarchische Regime (die sich oft am Vorbild desRömischen Reiches orientierten) dazu beigetragen haben, seine Meinung über die Überlegenheit der griechischen Kunst gegenüber der römischen Kunst zu bilden.
Bertel Thorvaldsen, Zeus und Ganymed, 1817, Kopenhagen, Thorvaldsens Museum |
Hinzu kommt eine weitere wichtige Tatsache: Rom ist der Sitz des Papsttums, das zu Winckelmanns Zeiten eine der einflussreichsten (und wahrscheinlich despotischsten) Monarchien in Europa war. Die Kirche hatte während des gesamten 17. Jahrhunderts den europäischen Kunstgeschmack diktiert und dieBarockkunst gefördert. Winckelmann stand der Barockkunst stets äußerst kritisch gegenüber, da sie als entartete Kunst angesehen wurde, die auf technischer Virtuosität und Bizarrheit beruhte. Bizarrheit und Harmonie sind zwei Begriffe, die nicht zusammenpassen. Und da Rom als Sitz des Papsttums mit Rom als Sitz des Römischen Reiches verglichen werden konnte, war es naheliegend, Vergleiche zwischen der barocken Kunst und der kaiserlichen Kunst anzustellen.
Bei diesen Überlegungen zur griechischen Kunst durfte natürlich auch die griechische Auffassung von Schönheit nicht fehlen. Die Griechen, so Winckelmann, waren die Zivilisation, der es mehr als jeder anderen gelang, eine Kunst zu schaffen, die sich durch formale Reinheit, Harmonie, Ausgewogenheit und Abwesenheit von Störungen auszeichnete: und dies gerade aufgrund ihrer höchsten Freiheit. Daher die Definition der Meisterwerke der griechischen Kunst als Meisterwerke, die sich durch edle Einfachheit und stille Erhabenheit auszeichnen. Um dieses Konzept besser zu verstehen, können wir dasselbe Beispiel heranziehen, das Winckelmann in seinem Werk vorschlägt: den berühmten Laokoon. Jahrhundert v. Chr. bis zum 1. Jahrhundert n. Chr.), die durch eine römische Kopie aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. bekannt ist und die berühmte Episode aus VergilsAeneis darstellt, in der dem trojanischen Priester Laokoon erzählt wird, dass er zusammen mit seinen beiden Söhnen von zwei riesigen Seeschlangen ins Meer gezogen wird, die von Athene geschickt wurden, damit Laokoon den Plan der Griechen, Troja zu erobern, nicht behindert. Laokoon hatte nämlich seine Mitbürger davor gewarnt, dem Pferd zu trauen, das ihnen von ihren Rivalen als Geschenk geschickt worden war.
In seinen Pensieri (Gedanken) kontrastiert Winckelmann die angespannten Muskeln des Laokoon, der versucht, sich aus den Schlangen herauszuwinden, mit seinem Gesichtsausdruck, der zwar schmerzhaft, aber nicht zerzaust ist: Der Schmerz in Laokoons Gesicht, so Winckelmann, äußert sich in einem Mund, der nur einen angestrengten Atem ausstößt, und nicht in schrecklichen Schreien, wie sie Vergil seinem Laokoon in der Aeneis zuschreibt. Das ist es also, was Winckelmann unter stiller Größe versteht: die Fähigkeit, Triebe zu kontrollieren, die Fähigkeit, Empfindungen, wie in diesem Fall den Schmerz des Laokoon, maßvoll und ausgewogen zu vermitteln. Winckelmann vergleicht die Meisterwerke der griechischen Kunst mit dem Meer: Wie sehr die Oberfläche auch von den Wellen aufgewühlt wird, der Grund bleibt immer ruhig. Und diese Seele durchdringt das gesamte Werk, denn die Größe der Seele des Laokoon, die den Schmerz erträgt, wird gerade durch den Kontrast zwischen dem Ausdruck und der Bewegung der Muskeln wahrgenommen.
Die stille Erhabenheit der Figur spiegelt sich daher auch in der Pose wider, die der Künstler für seine Darstellung wählt: Auch hier werden allzu bizarre, virtuose, unkontrollierte Posen vermieden. Es werden einfache Posen bevorzugt, die aber gleichzeitig die Größe einer edlen Seele zu vermitteln vermögen: also edle Einfachheit. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass wir heute dazu neigen, den Laokoon nicht so sehr durch Winckelmanns Interpretation zu lesen, sondern durch die von Aby Warburg, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert Winckelmanns Urteil umstieß und den Laokoon stattdessen für eine Skulptur hielt, die mit einer enormen und überwältigenden dramatischen Kraft ausgestattet ist, die sich in krampfhaften und nervösen Bewegungen ausdrückt.
Um auf Winckelmann zurückzukommen, ist es wichtig zu betonen, wie der Historiker argumentierte, dass es auch einen modernen Künstler gab, der in der Lage war, sich durch edle Einfachheit und stille Erhabenheit auszuzeichnen: Dies war Raffael, der Künstler, der durch eine extreme Vereinfachung der Kompositionsschemata der Frührenaissance bisher unerreichte Höhen an Harmonie und Ausgewogenheit erreichte.
Aber Raffael war kein Mann der Antike, er war ein Moderner. Wie war es also möglich, so Winckelmann, dass das Werk eines modernen Künstlers jene edle Einfachheit und stille Erhabenheit erreichte, die die Werke der griechischen Antike auszeichneten? Die Antwort kann nur eine sein: durchNachahmung. Die Nachahmung der Alten sei in der Tat der einzige Weg, um groß zu werden, denn die griechische Kunst habe den höchsten Grad an formaler Vollkommenheit erreicht, und niemand könne sie übertreffen oder besser machen. Imitieren bedeutet jedoch nicht kopieren, sondern originelle Werke auf kreative Weise zu schaffen und sich dabei von den Prinzipien der klassischen griechischen Kunst inspirieren zu lassen, so dass die Linien und Posen einfach sind und die Themen nicht von Leidenschaften beeinflusst werden. Winckelmanns Vorschläge bildeten die Grundlage, auf der sich die neoklassischen Bildhauer bewegten. Der Künstler, der sich am engsten an Winckelmanns Denken anlehnte, war nicht, wie man meinen könnte, Antonio Canova, dessen Werke oft ein pochendes Herz der Leidenschaft andeuten, sondern der Däne Bertel Thorvaldsen, dem es gelang, eine Kunst zu schaffen, in der die Linien bis zum Äußersten vereinfacht sind und in der es keine Spur von Gefühl gibt. Thorvaldsen war damit der Künstler, der wie kein anderer die Vorstellungen des deutschen Kunsthistorikers verkörperte, nicht zuletzt, weil Winckelmanns Ästhetik eine der Grundlagen seiner Ausbildung bildete: Es ist nur schade, dass Winckelmann nie die Werke des Künstlers zu sehen bekam, der den Vorstellungen von edler Schlichtheit und stiller Erhabenheit am besten entsprach. Wer weiß, wie er die Werke von Thorvaldsen beurteilt hätte.
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