Phygital: Was bedeutet das? Und was ist ein phygitales Museum?


Mit "phygital" ist eine Mischung aus physisch und digital gemeint. Aber was bedeutet das konkret? Wie kann ein Museum phygital sein?

Kommen wir gleich zur Sache. Sprachlich gesehen ist das Wort phygital eine Kombination aus den Wörtern physisch (“physical”) und digital (“digital”), um die immer stärker werdende Überschneidung und Verschmelzung dieser beiden Welten zu bezeichnen. Mit anderen Worten, der Begriff bezieht sich auf die Art und Weise, wie diese beiden Welten - die physische und die digitale - miteinander verschmolzen sind, so dass es immer schwieriger wird, sie getrennt voneinander zu erleben. Der Begriff ist nicht neu. Er wurde 2013 von Momentum, einem australischen Branding- und Marketingunternehmen, geprägt, hat aber in jüngster Zeit an Popularität gewonnen, insbesondere im Gefolge der Covid-19-Pandemie.

Und so weit, so gut. Der Begriff " Phygital" bezieht sich auf die Dialektik, die Schnittstelle, die Überschneidung und die Kontamination zwischen dem Physischen und dem Digitalen. Aber wie würden die beiden Welten zusammenkommen? In welchem Ausmaß und in welcher Form würde sich das phygitale Museumserlebnis präsentieren, und welche Art von Schnittstelle würde es haben? Würde das Physische das dominierende Element sein, während es eine angenehme Überschneidung mit dem Digitalen gibt? Oder wäre phygital in erster Linie digital mit einer physischen Überlagerung?



Ich möchte fünf mögliche Szenarien vorschlagen, die unsere Antwort auf diese berechtigten Fragen beeinflussen könnten. Diese Szenarien wurden auf der Grundlage der " Futures Hybrid Strategic Scenario Method " entwickelt, die von Riel Miller, dem derzeitigen Leiter der Abteilung “Futures Literacy” der Unesco, im Jahr 2007 vorgeschlagen wurde und aus einer dreistufigen Methodik besteht. Die fünf identifizierten Szenarien sollten nicht als separate Kategorien gelesen und verstanden werden, sondern eher als etwas, das man als “phygitale Museumsskala” bezeichnen könnte, an der man phygitale Museumserfahrungen messen kann.

Die Getty Art Challenge
Die Getty Art Challenge

Szenario 1. Physisch mit einer digitalen “Token”-Präsenz

Dieses Szenario bezieht sich auf einen physischen Museumsraum mit einer digitalen Präsenz. Bei den Museen in diesem Szenario handelt es sich in der Regel um kleine bis mittelgroße Museen mit einer Alibipräsenz im Internet, die allgemeine Informationen bereitstellt und dazu dient, das Erlebnis im physischen Museum zu fördern. Dieses Szenario kann mit Museen mit oberflächlichen digitalen Kampagnen, symbolischen Websites und Inhalten assoziiert werden, die auf die gleiche Weise angeboten werden, unabhängig davon, ob sie für den physischen oder den digitalen Bereich genutzt werden.

Szenario 2. Physisch und digital als Erweiterung

Dieses Szenario würde sich auf ein physisches Museumserlebnis beziehen, das auf die digitale Welt ausgedehnt wird, wobei der Charakter und der Inhalt beider Welten praktisch gleich sind. Ein gutes Beispiel für diese Kategorie sind Museen mit virtuellen Führungen, die in der Tat eine Erweiterung des physischen Erlebnisses darstellen. Bei virtuellen Führungen wird der physische Besuch vollständig in der digitalen Welt nachgebildet. Es handelt sich um einen Online-Zwilling des physischen Erlebnisses, der allerdings aufgrund der Abhängigkeit von Kameraperspektiven relativ begrenzt ist.

Szenario 3. Das Digitale als Verweis auf das Physische

Dieses Szenario bezieht sich auf das Digitale als Verweis auf das physische Museumserlebnis. In diesem Fall ist der Charakter des digitalen Inhalts anders, aber auch komplementär zum physischen Museumserlebnis. Dieses Szenario zeigt, dass das Digitale die physische Erfahrung des Museums ergänzt und dazu dient, den Inhalt innerhalb des physischen Museumsraums subtil zu fördern. Ein gutes Beispiel für dieses Szenario ist die Getty Museum Challenge (jetzt auch eine Publikation), die das Museumspublikum zu Hause dazu einlud, sich mit Inhalten im physischen Museumsraum zu beschäftigen.

Szenario 4. Parallele und gegenseitige Existenz von physischen und digitalen Inhalten

Dieses Szenario bezieht sich auf das Gleichgewicht zwischen digitaler und physischer Erfahrung, wobei jede Erfahrung potenziell autonom ist, obwohl sie die andere ergänzt. Transmediales Denken, zu dem sich die Museen zunehmend hingezogen fühlen, würde genau in dieses Szenario passen. Die Museumserlebnisse, die in dieses Szenario eingeordnet werden können, sind solche, die über mehrere Plattformen verstreut sind und die auch einzeln oder gemeinsam als globales, medienübergreifendes Erlebnis erlebt werden können. Die Idee eines plattformübergreifenden Museums wird derzeit vomaustralischen Centre of the Moving Image untersucht, aber es gibt nicht viele andere Museen, die diese phygitale Erfahrung ernsthaft in Betracht ziehen.

Szenario 5. Digital mit einem phygitalen Token

Dieses Szenario bezieht sich auf ein vollwertiges digitales Erlebnis mit einer symbolischen physischen Präsenz, die sich auf die materielle Kultur oder eine Museumsausstellung bezieht, aber auch auf den physischen Standort der Hardware bezogen werden könnte. Dieses überwiegend digitale Szenario, das nur eine sehr kleine Anzahl von Museen betrifft, ist dasjenige, das aus dem Covid-19-Debakel weitgehend unbeschadet hervorgegangen ist. Eines der wenigen Museen, die in diese Kategorie fallen, ist das Museum of Portable Sound, das ebenfalls ICOM-Mitglied ist.

Diese fünf Szenarien sind mit einer Reihe von Vorbehalten behaftet, von denen ich drei aufzählen möchte. Erstens gibt es kein ideales Szenario, das man in Betracht ziehen könnte. Die phygitale Museumsskala dient lediglich dazu, den Museen dabei zu helfen, den Umfang und Zweck des Digitalen im Verhältnis zum Physischen besser zu verstehen. Es kann Umstände geben, unter denen die Digitalisierung aufgrund technischer Probleme, wie z. B. einer schlechten Internetabdeckung, nicht notwendig oder möglich ist. Es kann auch der Fall sein, dass Museen gerne von einem Szenario zum anderen springen, da die digitale Kompetenz stetig zunimmt.

Zweitens ist die ideale Mischung aus digitalen und physischen Medien für jedes einzelne Museum subjektiv und hängt von dem spezifischen Kontext ab, in dem ein bestimmtes Museum steht. Es besteht eine potenziell starke Verbindung zwischen Museen und Publikum, die zu definieren und aufrechtzuerhalten ganz in der Verantwortung des Museums liegt. Die Relevanz betrifft auch das Verständnis von phygital als Mittel zum Zweck und nicht als Selbstzweck. Drittens kann es sein, dass einige Museen einen Ansatz an der Schnittstelle zweier Szenarien bevorzugen, der die Ziele des einen anerkennt und die des anderen umgeht. Es kann auch sein, dass einige der Erfahrungen, die unter ein Szenario fallen, für ein anderes Szenario umgewidmet oder wiederverwendet werden können.

Mehr dazu finden Sie in meinem jüngsten Artikel, der in der Fachzeitschrift Museums International veröffentlicht wurde.


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