Vom 18. Februar bis 21. Juli 2024 präsentiert das MASI in Lugano die Ausstellung Face to Face. Giacometti, Dalí, Miró, Ernst, Chagall. Hommage an Ernst Scheidegger, kuratiert von Tobia Bezzola und Taisse Grandi Venturi, in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Zürich und der Stiftung Ernst Scheidegger-Archiv.
Im Rahmen der Aktivitäten zum hundertsten Geburtstag von Ernst Scheidegger (Rorschach, 1923 - Zürich, 2016) eröffnet das Museum seine Ausstellungssaison 2024 mit einer Hommage an den Schweizer Fotografen. Scheidegger, der als Fotojournalist und Mitarbeiter der Agentur Magnum Photos tätig war und häufig in der Pariser Avantgarde-Kunstszene zu Gast war, ist international für seine Künstlerporträts bekannt: Berühmt sind die Porträts von Alberto Giacometti, einem lebenslangen Freund. Scheidegger, eine vielseitige und facettenreiche Persönlichkeit, war auch Maler, Grafiker, Filmemacher und später Galerist und Verleger.
Die Ausstellung zeichnet das Schaffen des Fotografen anhand von mehr als hundert Bildern nach, darunter unveröffentlichte Jugendaufnahmen aus dem Jahrzehnt 1945-1955 und berühmte Künstlerporträts, die ab Mitte der 1950er Jahre in Auftrag gegeben wurden. Die Ausstellung will zeigen, wie sich der soziale Akzent, der poetische und experimentelle Blick der frühen Werke in den luftigen, klaren und elegant kalkulierten Kompositionen der Künstlerporträts auflöst, die Scheidegger berühmt gemacht haben. Das “face-to-face” zwischen Scheidegger und den Protagonisten der Kunst des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in einem Dialog zwischen den fotografischen Porträts und einer Auswahl von Werken der jeweils porträtierten Künstler. Der engen Beziehung zu Alberto Giacometti ist ein Abschnitt gewidmet, der als trait d ’union zwischen den beiden Kapiteln der Ausstellung fungiert. Die Ausstellung zeigt auch den bekannten Kurzfilm Alberto Giacometti, den Scheidegger in Zusammenarbeit mit Peter Münger zwischen 1964 und 1966 drehte.
Starke Lichtkontraste, verfremdende Perspektiven und beiläufige Fokussierung kennzeichnen Scheideggers frühe Arbeiten, mit denen die Ausstellung eröffnet wird. Es sind private Aufnahmen in Schwarzweiss mit einer Rolleiflex-Kamera, die auf Reisen des Künstlers durch die Schweiz, Italien, die Niederlande, Jugoslawien und die Tschechoslowakei entstanden sind. Von Belgrad bis Montecassino, vom Verzascatal bis Paris verewigen die Bilder die Bewohner eines von Konflikten verwüsteten, aber auch lebenshungrigen Europas: Verlassene Werften, reine Kindergesichter in Waisenhäusern und Jugendgefängnissen wechseln sich ab mit den Geschichten einer lebenshungrigen Menschheit, die sich auf die Straßen verirrt.
In dieser Phase konzentriert sich Scheidegger auf den Menschen und die alltägliche Realität, die er mit poetischen Akzenten und einem sozialen Fokus einfängt, wobei er die Lektionen, die er an der Kunstgewerbeschule in Zürich über Objektfotografie gelernt hat, zu vergessen scheint. Sein Repertoire “umfasst viele klassische Themen des fotografischen und kinematografischen Neorealismus der Nachkriegszeit: das grelle Bühnenlicht auf den Gesichtern der Zirkusartisten und Clowns, der billige Nervenkitzel der Jahrmärkte und Kirmes, das lärmende Volksleben, das die Straßen Südeuropas belebt, Straßenkinder, die Heilsarmee, Festivals, Arbeiterdemonstrationen”, wie Kurator Tobia Bezzola im Katalog schreibt.
Vom Staub der Straßen zur Ruhe der Künstlerateliers. Scheideggers Weg kreuzt sich mit jenem von Alberto Giacometti, den er 1943 während seines Militärdienstes im Engadin kennenlernte. In einem eigenen Raum dokumentiert die Ausstellung die tiefe Beziehung zum Künstler anhand einer Reihe von seltenen Vintage Prints. Die Fotografien, die bei verschiedenen Begegnungen in Stampa und Maloja im Bergell, im Engadin und in Giacomettis Atelier am Montparnasse in Paris entstanden sind, zeigen private Momente aus ungewöhnlichen Perspektiven. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Künstler und dem Fotografen erlaubte Scheidegger auch, bedeutende Aufnahmen zu stehlen, wie eines der seltenen Frontalporträts von Giacometti, das später auch auf der Schweizer 100-Franken-Banknote verwendet wurde. In einer spielerischen Mise en abyme zwischen Malerei und Fotografie zeigt die Ausstellung auch ein Porträt von Scheidegger, das Giacometti um 1959 gemalt hat.
In Paris verkehrte Scheidegger zunächst in der avantgardistischen Kunst- und Literaturszene und spezialisierte sich auf Künstlerporträts für Fachzeitschriften und Verlagsprojekte. Von Joan Miró bis Salvador Dalí, von Max Bill bis Marc Chagall zeigt die Ausstellung Porträts der großen Künstler des 20. Jahrhunderts. Selten posiert, nie glamourös, erscheinen die Künstler immer in ihrer Umgebung, an ihrer Staffelei oder ihrem Zeichentisch. Es ist eine Fotografie, die sich nicht selbst feiert, sondern sich in den Dienst der Kunst stellt. Und vor allem bewahrt sie immer einen ruhigen Blick, bei dem die Berührung überwiegt. Eine Aufmerksamkeit, die nicht immer Nähe oder Intimität impliziert: Wenn Salvador Dalí mit spielerischer Ironie und Sympathie zu überraschen scheint, wird in den Porträts von Le Corbusier und Cuno Amiet der Charakter einer Auftragsarbeit nicht versteckt und Distanz wahrgenommen. Das Porträt einer Abwesenheit ist hingegen das der früh verstorbenen Sophie Tauber Arp, deren leeres Atelier Scheidegger verewigt hat.
Das Porträt dieser Persönlichkeiten dehnt sich in Scheideggers Aufnahmen, auch dank der Beleuchtung und der Komposition, auf das Atelier und die Kunstobjekte aus und offenbart etwas vom Schaffensprozess. Eine Erweiterung des Raums, die in der Ausstellung in einer Auswahl von Kunstwerken der verewigten Künstler Gestalt annimmt.
Anlässlich der Ausstellung erscheint der Band Ernst Scheidegger. Fotograf, mit Texten von Tobia Bezzola, Philippe Büttner, Alessa Widmer und Helene Grob. Deutsche und englische Ausgabe Scheidegger & Spiess, italienische Ausgabe Edizioni Casagrande Bellinzona.
Für Informationen: masilugano.ch
MASI in Lugano ehrt Ernst Scheidegger, den Schweizer Fotografen, der Giacometti, Dalí, Miró und Chagall verewigt hat |
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