Ende 2021 will das Kunsthaus Zürich seinen komplexen und zeitaufwändigen (über fünf Jahre) Erweiterungsbau abschliessen: Bis dahin werden die Sammlung Emil Bührle, die Sammlung Merzbacher und die Stiftung Hubert Looser in ihrem neuen Haus untergebracht sein, das nicht nur das grösste Kunstmuseum der Schweiz sein wird, sondern auch eine reiche und umfassende Sammlung französischer Malerei beherbergt. Weitere Neuerungen sind neue Wechselausstellungsräume, die Kunst nach 1960 und die grösste Dauerausstellung von Alberto Giacomettis Hauptwerken, begleitet von einer überarbeiteten Präsentation im bestehenden Gebäude. Das Museum rechnet damit, bereits 2022 400.000 Besucher pro Jahr zu erreichen.
Das Kunsthaus vereint Werke vom 13. Jahrhundert bis zur Gegenwart und verfügt über rund 4.500 Gemälde und Skulpturen sowie 95.000 Druckgrafiken und Zeichnungen; von diesen Meisterwerken sind nur 10 Prozent dauerhaft ausgestellt. Besonders hervorzuheben sind die größte Sammlung von Werken des norwegischen Künstlers Edvard Munch außerhalb seines Landes und die größte Sammlung von Werken des Schweizer Künstlers Alberto Giacometti sowie bedeutende Gemälde des Impressionismus und der Moderne, von Picasso, Monet und Chagall bis zu Beckmann, Kokoschka und Corinth. Außerdem Werke der Pop Art und großer Künstler wie Rothko, Twombly, Beuys und Baselitz. Neben Gemälden, Skulpturen, Grafiken und Zeichnungen beherbergt das Museum 1300 Fotografien und 550 Videoinstallationen. Mit der Erweiterung des Gebäudes werden 20 Prozent der Sammlungen sichtbar gemacht, was einer Verdoppelung der derzeit möglichen Kapazität entspricht.
In der Zwischenzeit bietet das Ausstellungsprogramm des Kunsthaus Zürich drei Ausstellungen.
Bis zum 11. Oktober 2020 zeigt das Museum eine grosse Ausstellung über die 1920er Jahre mit dem Titel Ephemeral Glory. The Roaring Twenties. Zum ersten Mal seit den 1970er Jahren wird ein Dialog zwischen Bauhaus, Dada, dem neuen Objektivismus und den Design- und Architekturikonen der Moderne geboten. Die 1920er Jahre waren von einem starken Innovationsdrang geprägt, so dass in den Künsten ein hohes Maß an Experimentierfreude erreicht wurde. Ausgehend von Berlin, Paris, Wien und Zürich zeigt die Ausstellung alle damals populären Medien wie Malerei, Skulptur, Fotografie, Film, Collage, Mode und Design. In diesen Jahren entstanden das kleine Schwarze von Chanel, der Sessel von Le Corbusier, Charlotte Perriand und Pierre Jeanneret sowie die Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky: Ikonen, die nie aus der Mode kommen und für Designliebhaber eine Quelle der Inspiration und ein Objekt der Begierde sind.
Für die Ausstellung hat die Kuratorin Cathérine Hug dreihundert Werke von achtzig der bedeutendsten Künstler aus den verschiedensten Bereichen ausgewählt: darunter Josef Albers, Hans Arp, Kader Attia, Marc Bauer, Constântin Brancu?i, André Breton, Marcel Breuer, Suse Byk, Coco Chanel, Adolf Dietrich, Dodo, Marcel Duchamp, Max Ernst, Hans Finsler, Margarete Schütte-Lihotzky, George Grosz, Heinrich Hoerle, René Herbst, Vasilij Kandinskij, Paul Klee, Le Corbusier, Fernand Léger, Elli Marcus, Lucia Moholy, Piet Mondrian, Trevor Paglen, Charlotte Perriand, Man Ray, Hans Richter, Ludwig Mies van der Rohe, Thomas Ruff, Xantu Schawinsky, Kurt Schwitters, Hiroshi Sugimoto, Félix Vallotton, Madeleine Vionnet, Nikolai Wassilieff. Zeitgenössische Künstler griffen ausdrücklich auf die Sprachen und Themen der 1920er Jahre zurück; insbesondere Marc Bauer, Veronika Spierenburg und Rita Vitorelli schufen eigens für die Ausstellung neue Werke.
Die Werke sind weder chronologisch noch nach Genres geordnet, sondern um soziokulturelle Schlüsselthemen der 1920er Jahre herum angeordnet: Überwindung des Kriegstraumas ,neue Geschlechterrollen,Pluralität der Sehweisen,Ekstase der Bewegung. Zu den wichtigsten Merkmalen dieses Jahrzehnts gehört zweifellos dieVielfalt der Ausdrucksmittel. Aus diesem Grund beschränkt sich das Begleitprogramm der Ausstellung nicht nur auf kreative Prozesse, sondern zielt auch darauf ab, eine Reflexion über aktuelle soziale und wirtschaftliche Fragen zu bieten.
Die Ausstellung ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Kunsthaus Zürich und dem Guggenheim Museum Bilbao, wo sie im Frühling und Sommer 2021 zu sehen sein wird. Sie ist eine Koproduktion mit den Festspielen Zürich und wird von der Vereinigung der Zürcher Seidenindustrie unterstützt.
Der Katalog ist im Snoeck-Verlag erschienen und enthält neue Beiträge von Cathérine Hug, Petra Joos, Gioia Mori, Alexis Schwarzenbach und Jakob Tanner.
Marianne (My) Ullmann, Modesta (1925; Tempera auf Leinwand, 61,2 x 61,2 cm; Wien, Universität für angewandte Kunst) |
Theodore Lux Feininger, Xanti Schawinsky, Ohne Titel (um 1927; gemalte Schwarz-Weiß-Fotografie, 23,2 x 17,9 cm; Privatsammlung) |
Bis zum 15. November 2020 wird die Ausstellung Kader Attia. Erinnerung an die Zukunft. Es ist die erste Ausstellung desalgerisch-französischen Künstlers in der Deutschschweiz: eine Ausstellung, die um die koloniale Vergangenheit Europas und ihre Folgen kreist, die der Künstler in seinen Skulpturen, Fotografien, Videos und Installationen thematisiert. Der 1970 in den nördlichen Vororten von Paris als Sohn algerischer Eltern geborene Kader Attia arbeitet heute zwischen Berlin und Paris und verarbeitet in seiner Kunst die Erfahrung des Lebens zwischen zwei Kulturen. In einernoch nie dagewesenen Videoinstallation , die eigens für die Ausstellung im Kunsthaus geschaffen wurde, befasst sich der Künstler mit dem viel diskutierten und sehr aktuellen Thema der Rückgabe nicht-westlicher, insbesondere afrikanischer Artefakte. Die Arbeit ist ein Versuch, dieses komplexe Thema eingehend zu erforschen, und bezieht die Stimmen von Historikern, Philosophen, Aktivisten, Psychoanalytikern und Ökonomen ein. Es bringt die verschiedenen Standpunkte zusammen, ohne jemanden zu beschuldigen, und liefert so eine fundierte Analyse des Themas. Die Geschichte der Schweiz und ihre Sammlungen fließen im selben Film zusammen und schaffen faszinierende neue Visionen.
Im ersten Raum der Ausstellung präsentiert der Künstler eine Reihe von Collagen und Recherchen, die die Verbindungen zwischen moderner Architektur und der Geschichte des Kolonialismus untersuchen.Diese Wechselwirkung wird durch die große Skulptur Indépendance Tchao (2014) deutlich, die sich auf das derzeit verlassene Hôtelde l’Indépendance in Dakar aus den 1960er Jahren bezieht und aus Metallarchivboxen besteht, die von der französischen Kolonialpolizei in Algerien während des Unabhängigkeitskrieges verwendet wurden, um Informationen über Rebellen zu sammeln. Das VideoThe Boy’s Legacies. T he Post-Colonial Body (2018) hingegen beschäftigt sich mit dem Thema derGewalt gegen Schwarze: Es geht auf einen Vorfall zurück, der sich im Februar 2017 in einem Pariser Vorort ereignete und bei dem ein junger Schwarzer, Théo Luhaka, bei einer Polizeikontrolle zusammengeschlagen und mit einem Schlagstock traktiert wurde. Attia lässt sich von diesem brutalen, durch den französischen Machtstaat verursachten Vorfall inspirieren, um darüber nachzudenken, wie die Körper ehemals kolonisierter und versklavter Bevölkerungsgruppen verändert wurden: ein Thema von dringender Aktualität angesichts des tragischen Todes von George Floyd in Amerika.
Kader Attia beschäftigt sich seit mehreren Jahrzehnten mit dem Konzept der"Reparatur". Etwas zu reparieren bedeutet, es in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen, aber laut Attia wird seine Bedeutung auch auf die"Korrektur" ausgedehnt, d. h. auf die Behebung eines früheren Fehlers. Der Künstler spielt mit dieser doppelten Bedeutung und untersucht die verschiedenen Konzepte, die dieser Begriff in der westlichen und nicht-westlichen Welt beinhaltet. Eine außergewöhnliche Arbeit zu diesem Thema präsentierte er 2012 auf der Documenta 13 in Kassel, wo seine große Installation The Repair from Occident to Extra-Occidental Cultures einen ganzen Raum einnahm: Die Arbeit enthielt unter anderem Holzbüsten , die Menschen mit entstellten Gesichtern darstellten: Die " gueules cassées", ein Ausdruck, den Colonel Yves Picot prägte, als ihm der Zutritt zu einer Versammlung für Kriegsversehrte verweigert wurde, waren Soldaten, die den Ersten Weltkrieg überlebt hatten, aber durch die tiefen Wunden, die sie im Kampf erlitten hatten, für immer gezeichnet waren. Kader Attia reiste mit Fotos dieser Verwundeten, die er in den historischen Archiven Deutschlands und Frankreichs gefunden hatte, durch Afrika und fertigte in Zusammenarbeit mit traditionellen Handwerkern in den ehemaligen Kolonien Büsten nach diesen Bildern an. Ein Werk über die Schrecken des Krieges, das aber auch auf die Beziehung zwischen der westlichen Moderne und Afrika verweist. Das Kunsthaus Zürich erwarb 2015 eine dieser Büsten und hat seither weitere Werke des Künstlers in seine Sammlungen aufgenommen: Sie sind neben Leihgaben aus anderen Museen und Privatsammlungen zu sehen.
Attia ist nicht nur ein Künstler, sondern auch ein Aktivist. In Paris betreibt er eine Plattform, an der sich Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und sozialen Schichten aktiv beteiligen. Gemeinsam mit der Kuratorin der Ausstellung, Mirjam Varadinis, hat Attia ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm organisiert, das Lesungen, Filmvorführungen, Führungen und Diskussionen umfasst.
Die Ausstellung wird unterstützt von Swiss Re - Partners for Contemporary Art, der Yanghyun Foundation und der Dr. Georg und Josi Guggenheim Foundation.
Kader Attia, Culture, Another Nature Repaired (2014-2020; Teakholz auf Metallsockel). Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Galerie Nagel Draxler |
Kader Attia, La mer morte (2015; Installation mit gebrauchter blauer Kleidung). Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Galerie Nagel Draxler und Regen Projects |
Schließlich kann die Öffentlichkeit bis zum 8. November 2020 die Ausstellung Landscapes. Painted Places, kuratiert von Philippe Büttner: Die Ausstellung präsentiert eine bedeutende Sammlung von Landschaftsbildern mit rund sechzig Schlüsselwerken aus der Sammlung aus der Zeit zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert in Flandern, Holland und Italien. Jahrhundert in Flandern, Holland und Italien. Sie beginnt mit spätmittelalterlichen Gemälden , in denen die Landschaftsdarstellung dazu dient, biblische Szenen wie die Geburt Christi zu untermalen und in ein suggestives Licht zu tauchen. Es folgen niederländische und italienische Landschaften aus dem 16. Jahrhundert. Die raffinierten Werke des flämischen Malers Jan Brueghel d. Ä. gehen den Landschaftsbildern des Goldenen Zeitalters des 17. Jahrhunderts voraus, als sich die niederländischen Künstler von religiösen Themen abwandten und eine reiche Landschaftstradition entwickelten. Zu sehen sind Werke von Malern wie Hendrick Avercamp, Jan van Goyen, Jacob van Ruisdael, Nicolaes Berchem und Margareta de Heer. Von Holland nach Italien: Nach den holländischen Landschaften können die Besucher Werke betrachten, die im 17. Jahrhundert in Italien entstanden sind, darunter Werke von Domenichino und Salvator Rosa sowie zwei prächtige Gemälde von Claude Lorrain, der in Frankreich geboren wurde, aber hauptsächlich in Italien arbeitete.
Die Präsentation alter Meister wie Joachim Patenier, Hendrick Avercamp, Jan van Goyen, Jacob van Ruisdael, Claude Lorrain und Domenichino wird mit einer bedeutenden italienischen Landschaft von Bernardo Bellotto aus dem Jahr 1744 abgeschlossen. Zu den Werken der Meister gehören die Landschaft mit dem Heiligen Hieronymus von Patenier und Werkstatt, dieWinterlandschaft mit Mühle von Avercamp, dasDorf Gazzada von Bellotto und dieTizian zugeschriebene Abendlandschaft mit Paar.
Die letzte Abteilung besteht aus der Sammlung des Kurators Philippe Büttner mit Werken aus der künstlerischen Produktion an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, einer Periode, in der die Vertreter der Moderne begannen, ihre eigenen Visionen in die Wahl der Themen und die malerische Ausführung einzubringen
In den Gemälden der frühen Moderne reagierten Künstler wie van Gogh, Segantini und Monet auf ganz unterschiedliche Weise auf die von den Alten Meistern so emblematisch dargestellteoffene Landschaft, was durch die unkonventionelle Art der Präsentation dieser Werke deutlich wird.
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Tiziano Vecellio (zugeschrieben), Abendlandschaft mit Figuren (um 1518-1520; Öl auf Papier auf Leinwand, 34,1 x 58 cm; Zürich, Kunsthaus) |
Giovanni Segantini, Mädchen bei Savognin (1888; Öl auf Leinwand, 53 x 91,5 cm; Zürich, Kunsthaus) |
Die Ausstellung wird von der Albers & Co AG unterstützt.
Für alle drei Ausstellungen sind während der Ausstellungsdauer verschiedene Aktivitäten geplant, wie Führungen, Vorträge, Performances und spezielle Veranstaltungen, wie die Konferenz Postkoloniale Schweiz, die am 1. November im Auditorium des Kunsthauses im Rahmen der Ausstellung Kader Attia stattfindet.
Ausserdem bereitet das Kunsthaus eine grosse Ausstellung (13. November 2020 bis 14. Februar 2021) über die Romantik in der Schweiz vor: Mit über 150 Werken soll dem Publikum der wichtige Beitrag der Schweizer Künstler zur Verbreitung der europäischen Landschaftsmalerei näher gebracht werden, darunter auch berühmte romantische Maler aus anderen Ländern wie Caspar David Friedrich, Eugène Delacroix und William Turner.
Für weitere Informationen besuchen Sie bitte kunsthaus.ch
Öffnungszeiten: Dienstag, Freitag, Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr; Mittwoch und Donnerstag von 10 bis 20 Uhr. Montags geschlossen.
Drei Ausstellungen im Kunsthaus Zürich, eine Erweiterung ist für 2021 geplant |
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